In einem meiner ersten Blogtexte sprach ich über unbewusste Glaubenssätze und wie diese unseren Lebensweg mitbestimmen können. Das wird den meisten von Ihnen vermutlich ohne Weiteres einleuchten. Denn wenn ich irgendwie in der hintersten Ecke meines Ich davon ausgehe, dass ich ohnehin kein Talent für Mathematik oder das Fußballspielen habe, dann werde ich viele Wachstumschancen in diesen Bereichen verpassen. Vielleicht werde ich mich im Matheunterricht weniger anstrengen als anderswo und mich auch nicht für das außerschulische Trainingscamp anmelden. Hat ja eh wenig Sinn.
Unsere großen und kleinen Lebensentscheidungen
M
öglicherweise ist Ihnen aber weniger klar, inwieweit unser Unbewusstes tagein, tagaus unsere großen und kleinen Entscheidungen beeinflusst und mit lenkt – angefangen bei der Auswahl des Frühstücksbrötchens bis hin zur Frage, ob ich tatsächlich € 20.000,00 in ETFs in
vestieren soll. Oder doch lieber in eine tolle Weltreise. Ohne unser Unbewusstes säßen wir ziemlich ratlos in unserem Lebensbötchen (oder am Frühstückstisch) und würden wohl recht verzweifelt versuchen, anhand von logischen Argumenten zu einem sinnvollen Entscheid zu gelangen. Zudem säßen wir vermutlich recht lange Zeit da – denn bis wir alle Faktoren miteinander in Kombination gebracht hätten … ja, das könnte schon dauern.
Für ei
nige Menschen hat der Begriff des „Unbewussten“ (immer noch) einen leicht anrüchigen Beigeschmack, so als ob man sich damit in die Gefilde des vollends Unwissenschaftlichen oder gar Esoterischen begeben würde. Vielleicht hängt dies auch damit zusammen, dass das Unbewusste vom Urvater der Psychoanalyse, Dr. Sigmund Freud, als Speicher für unterdrückte Triebe und ungelöste Konflikte angesehen wurde. Ungelöste Konflikte? Unterdrückte Triebe?? Igittigitt! Sowieso werden auch heute Gefühle bzw. Emotionen in vielen Kreisen leider immer noch als dem Intellekt oder analytischen Verstand unterlegen angesehen, auch wenn deren Bedeutung in den letzten 20 bis 30 Jahren immerhin vermehrt in den Fokus gerückt ist und sie damit etwas salonfähiger geworden sind.
Das Unbewusste – unser Lebenskompass …
Wer sich hingegen aufs hohe Ross der verstandesmäßigen Überlegenheit setzt, der
unterschlägt oder übersieht, dass wir alle ohne unsere Gefühle bzw. Emotionen völlig orientierungs- und auch handlungsunfähig wären. Zwar könnten wir mit unserem logischen Verstand einen wunderschönen Lebensplan entwerfen und diesem entsprechend handeln. Ob dieser Plan aber zu uns passt, wie es uns dabei geht und ob wir dank innerer Motivation unsere Ziele auch beschwingt verfolgen und erreichen würden: Das stünde auf einem ganz anderen Blatt. Viele Menschen mit Handlungsblockaden haben denn auch das Problem, dass ihr Unterbewusstes nicht mit im Boot sitzt – oder sogar lieber eine ganz andere Richtung einschlagen würde.
… aber auch unser Verführer
Übrigens gibt es viele Lebens- und Wirtschaftsbereiche, in denen schon längst angekommen ist, wie das Unbewusste für deren Zielsetzungen eingespannt werden kann. Denken wir dabei doch nur an die Werbung, die unter anderem sogenanntes Priming verwendet – kurz gesagt die Beeinflussung einer späteren Reizreaktion durch einen Vorbereitungsreiz. Das kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass wir in der Kinopause „zufälligerweise“ denjeni
gen Schokoriegel kaufen, der vor Filmbeginn ganz kurz auf der Leinwand erschien (Vorbereitungsreiz). Solche kommerziellen,
aber auch politischen Beeinflussungen sind in unserer vermehrt technologisierten Welt von zunehmender Bedeutung (und nicht unbedingt zu unserer aller Wohl). Haben wir darüber ein gewisses grundlegendes Verständnis, so sind wir immerhin besser dagegen gewappnet – und können zudem Primingeffekte für unsere eigenen Zielsetzungen verwenden.
Zwei unterschiedliche menschliche Denkarten: System 1 und System 2
Wer immer noch mit dem Begriff des Unbewussten fremdelt, für den hält die Wissenschaft viel schmackhaftere Begriffe bereit. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman entwickelte in seinem bahnbrechenden Buch „Thinking, fast and slow“ (2011) das damals bereits bestehende Konzept zweier unterschiedlicher Denkarten weiter. Dabei wird unterschieden zwischen einem System 1, welches schnell, automatisch und intuitiv/emotional gefärb
t verläuft, und einem System 2, welches langsam, bewusst und analytisch vorgeht. Wohingegen das System 1 sozusagen „im Schlaf“ funktioniert, kostet uns das System 2 Kraft und verstandesmäßigen Einsatz. Die neuere Forschung hat sogar eigene neuronale Verbindungen für die jeweiligen Systeme identifiziert. Das alles klingt doch sehr wissenschaftlich und – genau: rational.
System 1: unser müheloser Backmeister
Unserem Unbewussten bzw. unserem System 1 können wir sehr dankbar sein. Denn dieses ist nicht nur unglaublich schnell, sondern es kann auch unzählige Aspekte ganzheitlich miteinander kombinieren und zu einem schlüssigen Ergebnis führen. Und zwar ganz ohne unser Zutun. So, als würde man in einen großen Trichter sehr viele Zutaten wild hineinschütten und bekäme am unteren Ende einen wohlriechenden Hefezopf raus. Damit dieser aber auch wirklich gut schmeckt, braucht unser Teiggemisch ein paar wichtige Dinge. Dazu gehören einerseits einen ausreichend entspa
nnten Koch oder eine entspannte Köchin, denn bei allzu viel Stress kann unser Unbewusstes nicht sinnvoll arbeiten. Zum anderen ist unser Unbewusstes eine Meisterin des Abgleichs mit früheren Erfahrungen. Das heißt, je mehr unterschiedliche Frühstücksbrötchen wir in unserem Leben schon einmal gekostet haben, umso besser klappt die unbewusste Brötchenauswahl. Hat aber unser System 1 noch nie etwas von ETFs gehört, dann kommt da vielleicht erst mal nur ?????
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System-Schwierigkeiten?![]()
Was bedeutet dies nun für uns ganz konkret? Die Bedeutung des Systems 1 bzw. des Unbewussten für unsere Entscheidungen zu kennen und auch anzuerkennen, ist bereits die halbe Miete. Wichtig ist aber auch, dass wir die genaue Funktionsweise sowie Sprache von System 1 kennen und übersetzen können. Denn dieses kommuniziert nicht in Worten oder logischen Argumenten, sondern via Körpersignale. Also beispielsweise über das berühmte Bauchgefühl. Solche Empfindungen wollen jedoch erst mal wahrgenommen und verstanden werden, was nicht immer ganz leicht ist. Aber auch, wenn wir die Signale übersetzen konnten, können weitere Stolpersteine lauern: Denn manchmal geraten sich System 1 und 2 ganz schön in die Haare, wenn sie unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Und solche System-Streitigkeiten zu entwirren und zu lösen, kann unter Umständen anspruchsvoll sein.
Im Alleingang gelöst …
Wunderbare Anleitungen zu diesem ganzen Themenkomplex finden Sie in folgenden Büchern oder auch auf der Webseite des Zürcher Ressourcenmodells:
Maja Storch: Das Geheimnis kluger Entscheidungen: Von Bauchgefühl und Körpersignalen.
Piper Taschenbuch Verlag.
Maja Storch: Machen Sie doch, was Sie wollen! Wie ein Strudelwurm den Weg zu Zufriedenheit und Freiheit zeigt. Hogrefe AG Verlag.
Gunter Frank & Maja Storch: Die Mañana-Kompetenz: Entspannung als Schlüssel zum Erfolg.
Piper Taschenbuch Verlag.
https://zrm.ch/
https://www.majastorch.de/buecher/
https://www.majastorch.de/
Und für die ganz Neugierigen unter Ihnen:
Daniel Kahnemann: Thinking, fast and slow. Penguin Books.
Richard H. Thaler & Cass R. Sunstein: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Ullstein Verlag.
… oder mi
t professioneller Unterstützung
Möglicherweise haben Sie aber auch nach der Lektüre dieser oder anderer Bücher Schwierigkeiten im Umgang mit Ihrem System 1 – sei es nun, weil gar kein Hefezopf unter Ihrem Trichter rauskommt oder weil Ihrem Verstand Ihr Backprodukt nicht schmeckt. In solchen Fällen kann es ganz hilfreich sein, sich professionelle Unterstützung welcher Art auch immer zu suchen. Damit auch Ihnen Ihre Entscheidungen wie „von selbst“ gelingen.
Herzlichst, Ihre Simone Gysel